Gutachten: Erdverkabelung ist um 20 % zu teuer
Um die von E.ON edis geplante 58 km lange Hochspannungsfreileitung Perleberg – Gantikow – Wittstock war es ein ganzes Jahr lang still geworden. Die Bürgerinitiative ‚Hochspannung tief legen’ hatte bis zum Frühjahr 2009 von Haus zu Haus 1.900 Unterschriften für eine Erdverkabelung gesammelt. Trotzdem standen die Chancen schlecht, die Leitung unter die Erde zu bekommen: Hochspannungsleitungen (110 kV) werden in Deutschland prinzipiell als Freileitungen gebaut. Die Mehrkosten einer Erdkabelleitung gegenüber einer Freileitung darf ein Netzbetreiber nur dann auf den Strompreis umlegen lassen, wenn z.B. größere Städte oder hochrangige Schutzgebiete durchquert werden.
Allerdings: Im Bundestag wurde das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) verhandelt, das die Weichen in Richtung auf eine stärkere Erdverkabelung stellen sollte. Der Gesetzgeber versprach sich davon weniger Widerstand seitens der Bevölkerung gegen neue Stromleitungen im Hoch- und Höchstspannungsbereich. Ein Runder Tisch aus politischen Entscheidungsträgern aus Prignitz und Ostprignitz-Ruppin forderte im Februar 2009 in einer Resolution den Bundestag auf, im EnLAG die gesetzliche Grundlage für eine grundsätzliche Erdverkabelung von Hochspannungsleitungen zu schaffen. Das Gesetz wurde im Mai 2009 verabschiedet, aber mit zwei hohen Hürden: Erdverkabelungen auf der 110-kV-Ebene waren nun zulässig, wenn die Kosten für Bau und Betrieb die Kosten einer Freileitung nicht um mehr als 60 Prozent überschritten. Und: Der Netzbetreiber musste die Erdverkabelung wollen. In einer öffentlichen Anhörung zum EnLAG im Wirtschaftsausschuss des Bundestages hatten sich die Netzbetreiber jedoch als vehemente Gegner von mehr Erdverkabelungen gezeigt.
Vor diesem Hintergrund baten Teilnehmer des Runden Tisches E.ON edis um ein Gespräch. Ab Juli 2009 bis Juni 2010 wurden daraus insgesamt sechs Treffen, bei denen Prignitz und Ostprignitz-Ruppin durch den Landrat Hans Lange, Frau Ines Lehmann vom Bauordnungs- und Planungsamt OPR, die Bürgermeister Holger Kippenhahn (Heiligengrabe), Gudrun Hoffmann (Plattenburg) und Stefan Freimark (Gumtow) sowie Rainer Schneewolf, Rainer Still und Clemens Wehr von der Bürgerinitiative vertreten wurden. E.ON edis erwirkte ein Aussetzen des Genehmigungsverfahrens für eine Freileitung und gab bei der TU Hannover ein Gutachten in Auftrag, das die Frage beantworten sollte, ob eine Erdkabelleitung nicht mehr als 1,6 mal so teuer werden würde wie eine Freileitung. Die Runde folgte der Bitte der Vertreter von E.ON edis, erst dann an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn das Ergebnis vorläge. Daher das Jahr, in dem von dem Projekt nichts zu hören war.
Zum letzten Treffen lud E.ON edis die Prignitz- und Ostprignitzer in den Gelben Salon der Plattenburg ein, und diese ahnten, dass das eine freundliche Verpackung für eine ungute Nachricht sein würde: Der Wirtschaftlichkeitsvergleich der Professoren Oswald und Hofmann ergab für eine Erdverkabelung einen Mehrkostenfaktor von 1,93 gegenüber den vom EnLAG zugelassenen 1,6.
Daher wird E.ON edis das Genehmigungsverfahren für eine Freileitung jetzt weiter betreiben. Die Prignitz- und Ostprignitzer Vertreter stellten sogleich Überlegungen an, ob man die Kosten, die über den Faktor 1,6 hinausgingen, nicht von dritter Seite hereinholen könnte. Eine Anfrage der Bürgerinitiative bei der Bundesnetzagentur, die über die Umlegbarkeit von Mehrkosten entscheidet, ergab, dass ein solches Modell denkbar sei. Doch hat es E.ON edis nicht gestattet, außer dem Faktor 1,93 sonstige Daten aus dem Gutachten, das den Mitgliedern der Runde vorliegt, an Dritte weiterzugeben, da das Gutachten auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalte. So sind sie weder in der Lage, potenziellen Sponsoren zu sagen, welche Summe denn gebraucht würde, noch können sie das Gutachten gegenprüfen lassen. Alle Prignitz- und Ostprignitzer Beteiligte sind dennoch entschlossen, alles Denkbare zu tun, doch noch eine Erdverkabelung zu erreichen.
Rainer Schneewolf
veröffentlicht auch bei der Märkischen Allgemeinen
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.